Etappe 0

Lass mal eine Alpenüberquerung machen

Manchmal kommt man selbst auf eine verrückte Idee, manchmal steckt einen aber auch jemand anderes zu einer Idee an. In diesem Fall war es zweiteres, denn ich habe mich von einer Freundin von der Idee "Lass uns mal die Alpen überqueren" anstecken lassen. Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass es nicht viel Überzeugungsarbeit gebraucht hat, bis ich von unserem "Aktiv-Urlaub" genauso begeistert war wir sie. Mit Abenteuer und Unterwegs sein konnte man mich leicht ködern. Ein weiterer Pluspunkt: das Urlaubsbudget, das dank Übernachtung auf Berghütten und kurzer Anreise mit dem Auto nicht strapaziert wurde. Von daher: Lass mal eine Alpenüberquerung machen!

 

Wir gehen zwar beide gerne wandern, aber länger als 2-3 Tage am Stück waren wir um ehrlich zu sein noch nie in den Bergen unterwegs gewesen. Gut, dass wir uns dann zum Einstieg direkt eine einwöchige Wanderung über die Alpen ausgesucht haben. Man muss sich ja auch ambitionierte Ziele setzen. Unsere Alpenüberquerung sollte im August stattfinden, angefangen zu planen haben wir so richtig im April. Und stellten schnell fest, dass die Idee außer uns wohl noch 1-2 Leute mehr hatten. Bei der  Buchung der Berghütten mussten wir nämlich bereits vier Monate vorher auf Notlager und Winterquartiere ausweichen. Zur Erklärung: Auf den Berghütten gibt es verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten. Je nach Größe der Hütte gibt es Zweibettzimmern, Mehrbettzimmer bis zu Matratzenlagern für an die 60 Leute. Notlager und Winterquartiere heißt in dem Fall, alle anderen Zimmer sind bereits ausgebucht. Notlager und Winterquartier befinden sich oft nicht mehr in der Hütte sondern in einer separaten Hütte bzw. irgendwo im Keller (=kalt/ungeheizt). Da wir uns aber die Idee, mit Sack und Pack die Alpen zu überqueren, nicht mehr aus dem Kopf schlagen wollten, haben wir auch das Notlager in Kauf genommen. Wir waren der Überzeugung, dass wir nach stundenlangem Wandern eh so müde sein würden, dass wir sowieso überall schlafen würden.

 

Nach einer Google-Suche namens "Alpenüberquerung" haben wir die Wanderroute von Oberstdorf nach Meran ausgesucht und die dazu passenden Hütten gebucht. Unserem Abenteuer Alpenüberquerung - 173,9 km in 6 Tagen - stand also nichts mehr im Weg. Vorbereitet wie ich war habe ich mir natürlich extra für die Wanderung noch einen Wanderrucksack gekauft - eine Woche bevor wir los sind. Im Nachhinein bin ich nur froh, dass er so bequem war wie angepriesen. Denn wie wichtig der Wanderrucksack ist, das habe ich definitiv unterschätzt. Zu schätzen gelernt in diesen sechs Tagen habe ich außerdem so wenig wie möglich in den Rucksack zu packen, meine Wanderstöcke und Ohrstöpsel für die schnarchenden Zimmergenossen. Und es gibt nichts Besseres als ein leckers Bergsteiger-Essen auf der Berghütte nach einem Tag Wandern. Bewährt hat sich auch, Klamotten im Rucksack nochmals in Plastiktüten einzupacken, um am Ende eines Regentages in trockene Kleidung schlüpfen zu können. Und mein größtes Highlight war defnitiv die Trinkblase, die es möglich macht, während des Wanderns immer mal wieder einen Schluck Wasser zu nehmen ohne dafür den Rucksack abstellen zu müssen. Was sich jetzt ein bisschen nerdig anhört war das praktischte Wandergadget überhaupt. Auch ich hatte die Trinkblase eigentlich mehr aus Zufall gekauft, weil sie mir beim Kauf meines Rucksacks als "Kunden kauften auch" angezeigt wurde. Im Nachhinein ein großes Dankeschön an alle Wanderer, die vor mir diesen Rucksack und die dazugehörige Trinkblase gekauft haben. Ihr habt mir die Alpenüberquerung definitiv angenehmer gestaltet.   

Etappe 1

Locker flockig zum Einstieg

Zurückgelegte Entfernung: 6 km

Dauer: 2:46

Höhenmeter: 846 hoch

 

Unsere erste Etappe war gemessen an den nachfolgenden wirklich ein Spaziergang. In gemütlichen Tempo ging es von Oberstdorf los zur Kemptner Hütte. Wir genossen den Weg, den Sonnenschein und die Tatsache, dass wir wirklich losgewandert waren. Den Abend ließen wir mit der ersten Bergmahlzeit und dem ersten Radler ausklingen. 

Etappe 2

Auch die Berge brauchen Wasser

Zurückgelegte Entfernung: 14 km

Dauer: 6 Stunden

Höhenmeter: 960 hoch, 850 runter

 

Nach unserer ersten sehr kurzen und nur wenig erholsamen Nacht im Matratzenlager wachten wir morgens zum Geräusch von prasselndem Regen auf. Und starteten damit in das Abenteuer Alpenüberquerung. Spätestens jetzt wurde mir klar, was wir da eigentlich vorhatten: Jeden Tag zwischen 5-8 Stunden wandern, bei Wind und Wetter, jede Nacht zusammen mit bis zu 50 Menschen im Matratzenlager, jeden Tag die angestrengten Muskeln überzeugen, sich weiterzubewegen. Natürlich will man sich am zweiten Tag aber nicht direkt von negativen Gedanken und schlechter Laune leiten lassen, weshalb wir tapfer unsere Regenjacken überzogen und losmarschierten. 

 

Auf unserer zweiten Etappe haben wir einen Teil mit einem Taxi zurückgelegt, was wir aufgrund des Wetters gerne in Anspruch genommen haben. Und tatsächlich hatten wir auf unserem Weg auch immer mal wieder trockene Phasen, die man dann umso mehr zu schätzen weiß, wenn man bereits zwei Stunden durch den Regen gelaufen ist. 

 

Angekommen sind wir auf der Hütte dann zwar etwas durchnässt, aber der Schokokuchen auf der Terrasse hat das alles wieder wett gemacht. Und als ob wir die Uhr danach gestellt hätten, kam tatsächlich passend mit der Tasse Kaffee die Sonne raus und hat uns aufgewärmt und unsere nassen Klamotten getrocknet.

 

Highlight auf der Hütte war dann das nicht erwartete Upgrade unserer Schlafsituation. Da andere Wanderer nicht gekommen waren, war kurzfristigg noch ein Stockbett in einem Mehrbettzimmer frei, was wir uns natürlich nicht haben zweimal anbieten lassen. Nach nur einer Nacht im Matratzenlager habe ich das Stockbett schon mehr als genossen und um einiges besser und erholsamer geschlafen. 

 

Meine Motiviation war am Abend des zweiten Abends um einiges größer als noch am morgen und ich war felsenfest davon überzeugt, dass wir die unser Vorhaben, die Alpen zu überqueren, definitiv durchziehen würden. 

 

 

Etappe 3

Wie lange noch?

Zurückgelegte Entfernung: 29 km

Dauer: 9h

Höhenmeter: 450 hoch, 2100 runter

 

Der dritte Tag begrüßte uns mit einem atemberaubenden Sonnenaufgang und steigerte meine Motivation noch mehr. Das war auch gut, denn der dritte Tag war schon seit unserer Planung der Tag gewesen, vor dem wir am meisten Respekt hatten. Denn auf dem Plan stand nicht nur ein extrem langer Wandertag, sondern zusätzlich auch ein extrem anstrengender, denn es sollten 2100 Höhenmeter abwärts werden. Wir hatten uns deshalb vorgenommen schon sehr früh zu starten, um die Kilometer in gemütlichem Tempo und für uns stressfrei zurücklegen zu können. 

 

Nach einem Aufstieg und einem gemütlichen Frühstück mit inmitten der Alpen wanderten wir Stunde um Stunde vor uns hin. Der Abstieg war dann doch härter als gedacht. Es ging fast zwei Stunden nur bergab, meine Oberschenkelmuskeln waren irgendwann einfach nur dauerangespannt. An den Muskelkater am nächsten Tag wollte ich in diesem Moment noch nicht denken. Mit kurzen Dehnpausen haben wir den Abstieg dann auch hinter uns gebracht. Leider hat sich mit dem Abstieg auch die Sonne verabschiedet und der Regen wieder eingesetzt. Die letzten zwei Stunden waren dementsprechend von der Frage "Wie lange noch?" geprägt. Zum Regen kam zusätzlich noch ein hartnäckiger Nebel, sodass wir von der Aussicht einfach nichts mitbekommen haben. Wir sind einfach stur geradeaus gelaufen und gehofft, dass der Weg endlich ein Ende nimmt. Als wir schließlich unser Nachtlager, eine Alm, erreicht haben, wurden wir mit den besten Kässpätzle überhaupt empfangen. Die bequemen Betten haben ihr übriges getan und unsere Laune war am Ende dieses extremen Wandertages dann doch wieder gut.

Etappe 4

Hallo Muskelkater

Zurückgelegte Entfernung: 14 km

Dauer: 5 Stunden

Höhenmeter: 1000 hoch, 900 runter

 

Aua, aua, aua. Das waren meine Gedanken beim Aufwachen. Egal, in welche Richtung ich mich drehte, ob ich die Treppe runterging oder mich einfach nur hinsetzte: Meine Muskeln taten weh. Gottseidank stand heute nur ein "leichter" Wandertag auf dem Plan, sodass wir erstens keinen Stress hatten und zweitens mehr Pausen einlegen konnten. 

 

Was den Tag noch besser machte war der Sonnenschein. Was wir natürlich nutzen, um ein paar schöne Fotos zu machen und einen Kaffee im Sonnenschein zu trinken. Da wir relativ zeitig dran waren, saßen wir tatsächlich noch eine ganze Weile auf der Sonneterasse unserer Berghütte, haben das Bergsteiger-Essen genossen und uns das Radler schmecken lassen. Spätestens in diesem Moment, mit Blick auf die untergehende Sonne, war das Abenteuer Alpenüberquerung für mich schon eine Erinnerung, die ich nicht mehr missen will. 

Etappe 5

Das Ziel in Sicht

Zurückgelegte Entfernung: 18 km

Dauer: 6 Stunden

Höhenmeter: 600 hoch, 1420 runter

 

Etappe 5 von 6. Für uns war jetzt klar, wir ziehen es auf Fälle durch. Mein Muskelkater war tatsächlich auch schon weg. Wahrscheinlich hatte ich meine Muskeln schon weider so beansprucht, dass sie gar keine Zeit mehr hatten wehzutun. Der Tag startete mit einem Aufstieg - im Entenmarsch. Denn ab der Hütte gab es nur einen Weg, den außer uns noch etliche andere Wanderer frühmorgens einschlugen sowie einige geführte Gruppentouren. Wir haben und davon aber unsere Laune nicht vermiesen lassen und haben das tolle Bergpanorma genossen. 

 

Unser Ziel am fünften Tag war ausnahmsweise keine Berghütte sondern das Tal Vent. Anstatt Bergsteiger-Essen war an diesem Abend Pizza und Aperol unser verdientes Abendessen. Mit einer Nacht im ruhigen Doppelzimmer haben wir uns nochmal für den letzten Wandertag gestärkt. 

Etappe 6

Wir haben's geschafft!

Zurückgelegte Entfernung: 23 km

Dauer: 7 Stunden

Höhenmeter: 1100 hoch, 1200 runter

 

Zum Abschluss stand uns nochmal ein anstrengender und langer Wandertag bevor. Wir waren aber angesichts der letzten Etappe voller Tatendrang und überzeugt, dass wir auch die letzten Kilometer noch schaffen würden. Leider hat auch an unserem letzten Tag das schlechte Wetter wieder eingeholt, sodass wir tatsächlich auf dem Gipfel erst mal ein bisschen länger nach der Berghütte suchen musste, da sie vom Nebel komplett verdeckt wurde. Das Zollhäuschen, das die Grenze zwischen Österreich und Italien markierte, haben wir aber gefunden. Und mit jedem Meter Abstieg stiegen wir auch nach und nach aus dem Nebel. 

 

Ziel der letzten Etappe war der Postbus, der uns nach Meran brachte. Also haben wir den Zieleinlauf nicht mehr komplett zu Fuß zurückgelegt, für uns war das aber völlig in Ordnung. 

 

In Meran empfang uns nicht nur das südliche Flair, warme Temperaturen, sondern auch die beste Pizza aller Zeiten und ein herrlich erfrischender Aperol, mit dem wir auf unser Abenteuer Alpenüberquerung anstießen. 

 

Im Rückblick muss ich sagen: Wow! Nie hätte ich gedacht, dass mir dieser Urlaub so im Gedächtnis bleiben würde. Wir haben nicht nur das tolle Bergpanorama genießen können, sondern auch viele interessante Leute auf dem Weg getroffen und tolle Gespräche geführt. Diese unendliche Weite und Größe der Berge lassen einen einfach wieder merken, wie klein der Mensch im Vergleich dazu ist. Und das kann manchmal eine gute Erkenntnis sein aber manchmal auch wirklich ein bisschen Angst einjagen. Ich für meinen Teil habe meine Liebe für die Berge auf alle Fälle wieder neu erkannt (man erinnert sich ja an die Wanderungen mit der Familie, auf die man als Kind nie Bock hatte) und freue mich schon jetzt auf viele weitere Bergtouren, denn eines ist sicher: Wanderwege gibt es noch ganz schön viele abzuwandern.